Strandgut: Der Wert des scheinbar Wertlosen

Seit über zwei Jahrzehnten kommen sie nach Sylt: Gerlinde und Hugo Hartwig Cronjaeger. Am hiesigen Nordsee-Strand ließ das Ehepaar aus Minden etliche Webbilder und Skulpturen entstehen - einzig aus Strandgut wie Tauen, Fischernetzen und Holz gefertigt.


Früher Blickfang: Bizarre Holz-Objekte von Hugo Hartwig Cronjaeger am Sylter Strand.

Sylt (Angelika Jakat) - Der Wert des scheinbar Wertlosen hat in Gerlinde und Hugo Hartwig Cronjaegers Leben eine große Bedeutung. Besonders seit Ende der 70er Jahre. Der Architekt und ehemalige Hochschullehrer für Grundlagen der Gestaltung hielt sich mit der Familie auf Sylt zum Urlaub auf, als seine Frau einen Einfall zur kreativen Freizeitgestaltung am Strand bekam: Die ehemalige Dorfschullehrerein und Kunstpädagogin griff dabei die Idee einer Freundin auf, die sich bereits mit dem freien Weben beschäftigte. Das habe sie dann für sich übernommen und später ausgebaut. „Für unsere Zwillinge hatten wir immer Fingerfarben im Reisegepäck, mit denen die Kinder auch am Strand malten. Später bargen wir gemeinsam Strandgut und spielten dabei 'Sachensucher' wie bei Pipi Langstrumpf“, erinnert sich die 66-Jährige.

Hauptsächlich in den Strandbereichen Samoa und Sansibar sammlerisch aktiv, fand dort über zwanzig Jahre all das eine künstlerische Verwendung, was „so rum lag und interessant erschien“. Zu Anfang habe die ganze Familie den Strand rauf und runter abgeräumt, so Cronjaeger: „Früher, zu Zeiten als es noch 'Strand-Müll' gab, da war das noch möglich. Seit zwei Jahren ist es aus damit. Seitdem ist die Strandkunstgeschichte gestorben.“

Doch jetzt sei die Zeit der Retrospektive angebrochen. Und Werke, die ihr beider künstlerisches Schaffen dokumentieren, gäbe es ja schließlich immer noch. Eine erste Gesamtwerkschau fand 1990 in Bad Oeynhausen statt. 2002 waren die Ergebnisse der reizvollen Umwandlungsprozesse von Sylter Strandgut in bizarre Strandkunst erneut einem Publikum zugänglich. Im Rahmen einer Sommerausstellung wurden sie im „Aeronautikum“ präsentiert, einem Luftschiff- und Marineflieger-Museum im Landkreis Cuxhaven.

Ursprünglich „'just for fun' und nicht für ein Publikum gemacht“, sind die über neunzig Arbeiten sonst in Brockum und Minden zu finden. Dort bewohnt das Ehepaar ein Bauernhaus und eine Stadtwohnung, in denen es umgeben ist von „bei Wind und Wetter“ entstandenen Web-Bildern und bis zu zwei Meter hohen Holzstandbildern. Etliche der maritimen Objekte sind zudem in einem alten Schweinestall untergebracht, als quasi „Installation“, so Cronjaeger.

„Wir wohnen mit unseren Figuren. Wenn unsere drei Ferienwochen zu Ende waren, dann haben wir das bis dahin Entstandene über den Damm nach Hause mitgenommen“, erzählt der 74-Jährige, „auf dem Dach unseres Passats und mit mehr Luft als üblich in den Reifen. Eine Skulptur wie „Phoeni“ ist zirka 48 Kilo schwer, „Carone“ wiegt an die 144 Kilo.“

Der gelernte Zimmermann und Diplomingenieur war von der Vielfalt an Hölzern, Plastikteilen und Tauen fasziniert, die das Wasser angespülte. Und ebenso davon, diese See-Fundstücke spontan spielerisch zusammenzusetzen, um ihnen sozusagen „neues Leben“ zukommen zu lassen.

Bei der Montage der Menschen- und Tier-Objekte verwendete der „professionelle Strandmonteur“ in der Regel einen Hammer, Nägel, gelegentlich Schrauben und eine Zange. „Das figurative sich Einbringen in die gefundenen Materialformen unter den Möglichkeiten, wie sie sich vor Ort boten, darin bestand eine Herausforderung“, sagt er. Sein Credo im Strand-Atelier lautete: Einfach sein, aber anspruchsvoll.

Unter der Prämisse aus Altem und Wenigem viel zu machen, ließ Gerlinde Cronjaeger parallel farbige, gewebte Material-Schöpfungen aus verschiedenartigem Tauwerk entstehen: „Ein besonderer Reiz liegt in der Zusammenstellung der verschiedenen Auflösungszuständen der Garne aus dem Meer.“

Auch wenn seit 2002 keine neuen „See-Stücke“ mehr angefertigt wurden, nach Sylt reisen die Cronjaegers nach wie vor. Und natürlich wäre es eine Freude, wenn einige ihrer originellen Arbeiten zukünftig „eine endgültige Heimat am Entstehungsort Sylt“ fänden.

Fotos 1/3: Cronjaeger, Foto 2: Jakat

(Erscheinungsdatum: Mittwoch, 08.09.2004 / Sylter Rundschau)

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