Zwischen Genie, Wahnsinn und Selbstlosigkeit

Überzeugende Schauspieler, dramatische Handlung: "Der Beweis", das packende Schauspiel von Erfolgsautor David Auburn, wurde am Mittwochabend im Alten Kursaal aufgeführt. Der gelungene Wissenschaftskrimi mit Tiefgang um Genialität, Identität und Liebe begeisterte das Sylter Publikum.


Unterhaltung und Anspruch: Ralph Martin, Susanne Uhlen, Ruth Elisabeth Spichtig und Gerhard Friedrich in "Der Beweis" (v.l.). Fotos: Jakat

Westerland/Sylt (Angelika Jakat) - Eine Frau in schlabberiger Strickjacke sitzt auf einer blaugrauen Dachterrasse verzagt an einem Tisch. Nächtliches Dunkel lässt im Hintergrund die Skyline Chikagos leuchten. Ein älterer Herr im Smoking spricht mit ihr über "verlorene Tage", "Isolation" und dass sie ihr Talent nicht vergeuden solle. Sein Ratschlag: "Wenn du nicht schlafen kannst, dann mach Mathematik." Sein Aufruf: "Reiß dich zusammen!" bringt die Situation auf den Punkt.

Das Zwiegespräch Catherines (Susanne Uhlen) mit ihrem jüngst verstorbenen Vater Robert (Gerhard Friedrich), einem bis zu seinem geistigen Verfall genialen Mathematiker, klärt den Zuschauer gleich zu Beginn über die wesentlichen thematischen Zusammenhänge des psychologisch motivierten Familiendramas "Der Beweis" von David Auburn auf.

In Streiflichtern wird die tragische Geschichte der aufopfernden Tochter enthüllt, die zum Wohl des kranken Vaters auf eine berufliche Zukunft als Mathematikerin verzichtet hat und später fast daran zerbricht.

Denn nach dessen Tod sieht sie sich vor die unausweichliche Frage gestellt: Wer bin ich? Catherines Lebenssinn lag letztlich nur darin, die 'gute Tochter' zu sein, die sich allein über das Gefühl gebraucht zu werden definierte. Die Suche nach ihrem "Selbst" beginnt nach dem Tod des Vaters und mit dem bezeugten Beweis ihrer sensationellen mathematischen Begabung sowie dem Beginn ihrer Liebe zu Hal.

Dessen Fund eines mathematischen Geniestreiches mit uneindeutiger Urheberschaft bildet schließlich den spannenden Dreh- und Angelpunkt des Stücks. "Ich habe es nicht gefunden, ich habe es geschrieben", erklärt ihm Catherine und schafft damit Raum für viele Spekulationen. Die konfliktreichen Beziehungen Catherines zur selbstbewussten Schwester Claire (Ruth Elisabeth Spichtig) und zum verliebten Doktoranden Hal erzählen nach und nach die Geschichte einer engagierten, aber unterschätzten Frau, deren schriftliche Auseinadersetzungen über Primzahlen zuerst dem Vater zugeschrieben werden, bevor sie als das geistige Eigentum der bis dahin Verkannten anerkannt werden.

Das intensive und konzentrierte Spiel des brillanten Darstellerquartettes ließ das Publikum Dramatik pur erleben. Mehrfach begleitete gespannte Stille im Publikumsraum den Verlauf des wiederholt preisgekrönten Zweiakters im nahezu ausverkauften Alten Kursaal.

Die Inszenierung von Krzysztof Zanussi kam zweifelsohne an, unterstützt durch die nüchterne Ausstattung von Eva Starowieyska. "Irgendwann musst du dich stellen", sagt Hal zu Catherine, bevor er sie am Ende auffordert, mit ihm die Beweisführung ihres mathematischen Lehrsatzes durchzugehen. Die Fehleinschätzung ihres Talents gereicht ihm nun zu einem gesteigerten Interesse an ihrer Person, die ein Wandel des Ichs zeigt.

Die Aufführung überzeugt besonders im zweiten Teil, der die Ereignisse in oftmals beklemmende Szenen fast, die die Verzweiflung Catherines im Kampf um Anerkennung deutlich machen. Und in Rückblenden ebenso ihre selbstlose Liebe zum Vater. Der Schlussapplaus spiegelte eine deutliche Meinung zu diesem prominent besetzten Bühnenwerk wider: "Ein starkes Stück mit tollen Schauspielern."

(Erscheinungsdatum: Samstag, 08.01.2005/ Sylter Rundschau (ohne Fotos))

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